Krimi-Murks
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Der Auftrag
Neues zu lernen ist mir wichtig. Aus diesem Grund habe ich auch den
Auftrag meiner Kollegin K. angenommen, jemanden zu ermorden.
Wen es trifft, ist ihr völlig gleichgültig, aber Mord muss es sein.
Sie selbst hat mit ziemlicher Sicherheit noch nie einen Mord begangen
- nicht einmal in Gedanken - dazu macht sie viel zu viel Yoga.
Trotzdem hat sie diesen Wunsch an mich herangetragen und jetzt sitze
ich hier am Fenster, gucke in meinen Garten hinaus und plane einen
Mord.
Hätte ich geahnt, wie schwierig das ist, hätte ich wahrscheinlich sofort
abgelehnt. Vielleicht aber auch nicht, schließlich liebe ich Herausfor-
derungen und habe noch nie jemanden um die Ecke gebracht.
Das wird jetzt also eine Premiere.
Eine geeignete Mordmethode muss her. An einem Plan hapert es auch noch. Umfangreiche Recherchen sind erforderlich. So ein Mord will gut vorbereitet sein. Ich handle ja schließlich
nicht im Affekt und der Mord hat absolut nichts mit persönlichen Motiven zu tun.
Gerade deshalb will ich alles richtig machen, was wirklich schwierig ist. Es ist ja nicht so, dass auf dem Buchmarkt eine große Auswahl seriöser Fachliteratur zum Thema Mord angeboten wird. Krimis zählen nicht.
Ach ja, ich vergaß zu erwähnen, dass der Mord ein literarischer sein soll. Ich soll natürlich nicht wirklich jemanden abmurksen, sondern für meine Kollegin einen Krimi schreiben. Daher muss ich mich an dieser Stelle einmal direkt an sie wenden: Liebe K., wenn Du das hier liest, raucht mir gerade der Kopf. Du hast ja keine Ahnung, wie schwierig es ist, einen Mord zu begehen.
Oder doch? Schließlich liebst Du Krimis. Das haben wir gemeinsam. Es ist aber etwas ganz anderes einen Krimi zu lesen, als einen zu schreiben. Das wollte ich nur einmal gesagt haben!
Weil ich das erste Mal morde, habe ich mir bereits Unterstützung geholt. Meine Freundin B., die Bikerin, schreibt nämlich in ihrer Freizeit Krimis, wenn sie nicht gerade mit ihrem Motorrad durch die Gegend düst. Mit Verbrechen und Mord kennt sie sich deshalb jedenfalls wesentlich besser aus als ich und konnte mir schon wertvolle Tipps geben.
Ich bin also am Thema dran, recherchiere und treffe Vorbereitungen, was das potenzielle Opfer, das Mordwerkzeug, den Tatort und was sonst noch dazu gehört angeht.
Ich bin selbst gespannt, ob es mir gelingt in meinen Gehirnwindungen kriminelle Energien aufzuspüren und einen fiktiven Mord zu begehen, der einer praktischen Überprüfung – zumindest theoretisch – standhält.
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Die Planunng - Teil I
Schreib´ doch mal einen Krimi, Mord im Amt, hat sie gesagt. Entweder ist meine Kollegin hoffnungslos naiv oder sie überschätzt meine Fähigkeiten gewaltig.
Eine perfide Mordmethode habe ich mir bereits ausgedacht. Und perfide
muss sie sein, schließlich kann ich am Tatort Behörde nicht blutbesudelt
über den Flur laufen. Da kann ich nicht einmal behaupten, ich hätte
meine Kaffeetasse umgeworfen. Kaffee hinterlässt keine Blutflecken.
Außerdem muss ich annehmen, dass mein potentielles Mordopfer
größer und stärker ist, als ich und sich wehrt.
Brutale Gewaltanwendung kommt daher nicht in Frage. Das ist
unrealistisch. Schade, ich fand meine Idee, einen Kugelschreiber
als Mordwaffe einzusetzen, so schön bizarr. Aber dafür ist zu viel
Kraft erforderlich.
Ich überlege mir also etwas anderes und lande schließlich bei
der klassischen weiblichen Mordmethode schlechthin: Gift.
Prima, die erste Hürde habe ich schon einmal genommen. Jetzt muss
ich entscheiden, wie ich mein Opfer vergiften will.
Der erste Gedanke, der mir in den Sinn kommt, scheidet leider genauso aus, wie die Mordwaffe Kugelschreiber.
Der giftige Pantherpilz, der in regelmäßigen Abständen in meinem Garten – praktischerweise unter dem Küchenfenster – auftaucht muss in ausreichender Menge verzehrt werden. Das im Pilz enthaltene Gift übersteht zwar den Kochprozess, aber ich will mein Mordopfer ja nicht zum Essen einladen. Da stehe ich ja auf der Liste der verdächtigen Personen gleich ganz oben. Außerdem ist mir das irgendwie zu banal. Ich will etwas Raffinierteres. Zu früh im Jahr ist es auch für den Pilz. Der lässt sich erst später blicken.
Nee, ich benötige ein Gift, dass leicht zugänglich und absolut tödlich ist, vom Opfer nicht sofort bemerkt wird und vor allem – das ist mir ganz wichtig – über Inhalation, also bereits beim Einatmen tödlich wirkt.
Ich erwähnte es ja schon, meine Mordmethode ist perfide.
Die getrocknete Haut vom Hut des Pantherpilz kann geraucht werden. Das ginge natürlich, wenn ich versuchte, einen Raucher oder eine Raucherin - nun ja, nicht zu meucheln, aber unter Drogen zu setzen. Es setzt dann nämlich keine tödliche Wirkung ein, sondern die Folge sind „nur“ Halluzinationen. Das reicht meiner lieben Kollegin aber nicht, sie besteht auf Mord.
Ich grüble und grüble. Mir will einfach nichts einfallen, bis meine Freundin B. mich auf die richtige Fährte setzt.
Jetzt weiß ich, was ich zu tun habe.
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Die Planung - Teil II
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Nachdem ich entschieden habe, welches Gift ich für meinen
Auftragsmord verwenden werde, wird der Rest ein
Spaziergang. Schließlich habe ich Zugang zu allen möglichen
und unmöglichen Informationen, die das Internet zu bieten hat.
Ich setze mich also an meinen PC und recherchiere bezüglich
Rizinus.
Ja, da staunt Ihr, hab´ ich Recht? Rizinus kennen wir doch alle
als Abführmittel. Überdosierungen sind hierbei natürlich auch
nicht ohne, aber nicht zwangsweise tödlich.
Gewonnen wird das Öl aus den Samen der Rizinuspflanze, die
in tropischen Gegenden beheimatet ist. Im Zuge der Herstellung
bleiben die in den Samen enthaltenen giftigen Substanzen in
den Pressrückständen zurück. Das Öl ist also nicht giftig.
Wie so viele tropische Gewächse kann man auch den Rizinus oder Wunderbaum, wie er auch genannt wird, als Zimmerpflanze für unsere heimischen Wohnzimmer erwerben. Klasse, was? Es kommt aber noch besser. Das in den Samenkapseln enthaltene, als Rizin bekannte Gift ist eines der tödlichsten überhaupt! Und es gibt kein Gegengift! Ein Traum… Darüber hinaus gibt es drei Wege, an Rizin Schaden nehmen oder sterben zu können: einerseits durch Verzehr (das hatte ich ja schon verworfen), durch Hautkontakt (auch nicht schlecht) oder – jetzt kommt´s: durch Einatmen! Yep! Ich habe meine Mordwaffe gefunden!
Atmet mein potenzielles Mordopfer das von mir unter Beachtung hochnotpeinlicher Vorsichtsmaßnahmen hergestellte Pulver aus Rizinussamen ein, werden innerhalb weniger Stunden schlimme Atemnot, Fieber und Übelkeit die Folge sein.
Das Protein Rizin verbindet sich mit verschiedenen körpereigenen Substanzen, blockiert die Eiweißproduktion in den Zellen, die dann absterben. Die roten Blutkörperchen verklumpen, Thrombosen, Lungenödeme, Atemstillstand und schwere Lähmungen sind die Folge. Schlimmstenfalls – und das ist ja mein erklärtes Ziel – führt die Inhalation beim Opfer zu Atem- und Kreislaufversagen und schlussendlich zum Tod. Ich hätte meinen Mordauftrag somit gewissenhaft und erfolgreich ausgeführt.
Liebe Kollegin K.: Du darfst stolz auf mich sein. Denn dass ich das hinbekomme, ist ja wohl unbestritten. Du kennst mich ja und weißt, wie gewissenhaft und gründlich ich bin, sonst hättest du mich bestimmt nicht mit dieser Mord(s)aufgabe betraut, oder?
Deshalb wird auch die Aufbereitung des tödlichen Pulvers für mich kein nennenswertes Problem darstellen.
Im Gegensatz zum Pantherpilz im Garten habe ich zwar keinen Wunderbaum im Wohnzimmer stehen, aber: in meiner Nachbarschaft stellt jemand seinen Rizinus bei geeignetem Wetter immer in den Garten. Und die Blütezeit hat bereits begonnen…
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Die Ausführung
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Bald ist es soweit– der Nachbar hat seinen Wunderbaum schon vor
Wochen aus dem Winterquartier geholt und an einer sonnigen und
vor allem, von draußen leicht zugänglichen Stelle in der Nähe des
Gartenzauns platziert. Das Pflänzchen hat eine Menge Blüten
produziert – sehr hübsche übrigens – und bildet bereits die ersten
Fruchtstände aus. Der Nachbar weiß entweder nicht über das
Potential seines Gartenschmucks Bescheid oder es ist ihm egal, dass
er damit jedem und jeder Vorübergehenden gratis ein höchst
mörderisches Angebot macht.
Gut für mich, die ganz lässig beim Spazierengehen nebenbei ein
paar Samenkapseln mitgehen lässt. Zu Hause dann mit Atemmaske,
Einweghandschuhen, viel Fingerspitzengefühl und einer Geduld, die
mir normalerweise abgeht, das Mordpülverchen hergestellt und in
ein ehemaliges Marmeladenglas für den Transport ins Büro abgefüllt. Jetzt muss ich nur noch den geeigneten Zeitpunkt abwarten…
Wenige Monate später spielen mir die Entwicklungen der Corona-Pandemie und die Maskenpflicht in die Hände.
Am Arbeitsplatz ist es für mich kein Problem - dank der Durchgangstüren zwischen den Räumen - das Büro des von mir als Mordopfer auserkorenen Kollegen zu betreten und den Mund- und Nasenschutz, den er nur im Amt trägt und der am Fenstergriff zum Auslüften baumelt, mit einem kleinen Pinsel an der Innenseite mit dem giftigen Pülverchen zu kontaminieren. Für den Weg von zu Hause zur Arbeit und zurück trägt er eine weitere Maske. Die nehme ich mir vor, wenn er zur Mittagspause das Büro verlässt und die andere aufsetzt. Doppelt hält besser. Jetzt bleibt nur noch abzuwarten, ob die Dosis hoch genug ist und zum beabsichtigten Ergebnis führt.
Dabei haben weder meine Auftraggeberin noch ich etwas gegen besagten Kollegen. Ich habe ihn rein willkürlich ausgewählt, eine Münze geworfen sozusagen. Das Experiment kann seinen Lauf nehmen.
Eigentlich ist das doch der perfekte Mord. Es gibt kein persönliches
Motiv, die Mordwaffe ist extrem gefährlich, tödlich und trotzdem
leicht zugänglich. Mehrere Personen haben Zugang zum Tatort
und sind deshalb alle gleichermaßen verdächtig.
Und da ich keine Fingerabdrücke hinterlassen habe…
Ich will mich ja nicht selbst loben, aber ich finde, da muss
schon ein Ermittler daherkommen, der über den Spürsinn
aller großen Detektive, angefangen bei Sherlock Holmes
über Hercule Poirot, Miss Jane Marple, Sam Spade,
Philip Marlowe und Die drei ??? verfügt, um mich als Täterin
zu entlarven.
So, das war´s mit meinem Ausflug in die Kriminalität.
Wobei ich zugeben muss, dass es mir - ganz überraschend -
Spaß gemacht hat, einen Mord zu planen…
Prof. Dr. Dr. Livia Crassa Malum
Der Kaffee-Troll - Ein Forschungsbericht
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Meine Erfahrungen auf dem Gebiet der Forschung
zeigen es deutlich: weite Reisen sind nicht zwingend
erforderlich, um auf bislang unbekannte oder kaum
erforschte Spezies zu treffen. Es lohnt sich, die Augen
offen zu halten und aufmerksam seine Umgebung zu
betrachten und zu beobachten. Dabei mag sich
herausstellen, dass wir genannten Lebensformen näher
sind, als wir bislang annahmen.
Thema dieses Berichts ist die Beobachtung und
Erforschung des gemeinhin unter dem Namen Kaffee-
Troll bekannten Geschöpfes, der breiten Öffentlichkeit
kaum bekannt, da sehr selten und endemisch nur in
einigen wenigen Gebieten Brandenburgs vorkommend,
welches über die bemerkenswertesten Mechanismen
der Anpassung und Mimikry verfügt, die sich die moderne Wissenschaft nur vorstellen kann.
Diese stark ausgeprägte Anpassungsfähigkeit in Verbindung mit seinem sicheren Gespür für Tarnung ermöglicht es dem Kaffee-Troll nahezu unbeachtet in unserer Gesellschaft zu existieren. Äußerlich kaum von uns zu unterscheiden, haben sich die Vertreter dieser Spezies
im Laufe ihrer Entwicklung perfekt ihrer Umgebung angepasst. Dies geht so weit, dass es sogar zu Eheschließungen mit uns kommen kann. Ein Umstand, von dem ich selbst betroffen bin, wie ich Ihnen, werte Fachkolleginnen und –kollegen eingestehen muss.
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Erst nach Ablauf einer mehrere Jahrzehnte umfassenden Partnerschaft wurde mir aufgrund meiner intensiven und umfangreichen Beobachtung, Beschäftigung und Erforschung der fraglichen Spezies bewusst: ich bin mit einem Kaffee-Troll verheiratet.
Positiver Nebeneffekt dieser Entdeckung sind die geradezu bahnbrechenden Fortschritte, die sich aus diesem Umstand für meine Forschungen hinsichtlich der Klassifizierung und Einordnung der Kaffee-Trolle in Ihnen alle bekannte Schemata ergeben und die ich für Sie
im folgenden kurzen Abriss zusammenfassen möchte.
Der Kaffee-Troll ist der Gattung der bebrillten Zwerg-Trolle zuzurechnen und bildet eine eigenständige Art in der Familie der Zwerg-Trolle. Er gehört somit zur Ordnung der Haus-
und-Garten-Trolle.
Die bisherige Forschung geht in irriger Annahme davon aus, dass es sich beim Kaffee-Troll
und beim Küchen-Troll um die gleiche Art handelt. Dieser Irrtum ist durchaus nachvollziehbar und verständlich, berücksichtigt man die außerordentlichen Fähigkeiten der Spezies, sich unerkannt unter uns zu bewegen. Erst die genaue Inaugenscheinnahme und Befragung des mir angetrauten Vertreters besagter Spezies ermöglichte es mir die signifikanten Merkmale durch die sich beide Arten voneinander unterscheiden, zu erkennen und Ihnen geschätzte Kolleginnen und Kollegen im Rahmen dieses Berichts zugänglich zu machen.
Die wissenschaftliche Unterscheidung zwischen Kaffee-Troll und Küchen-Troll ist in der Tat
eine schwierige Aufgabe, der sich die Wissenschaft in der Vergangenheit stellen musste.
Der Umstand, dass ich – unwissentlich – ein Exemplar aus der Familie der Zwerg-Trolle geheiratet habe, hat mir einen zwar überraschenden, jedoch überaus willkommenen Vorteil auf dem Gebiet meiner Forschungen eingebracht.
Rufen wir uns die Hauptmerkmale der Haus- und Garten-Trolle in Erinnerung, so sind dies hervorragende Anpassungsfähigkeiten, unnachahmliche Kompetenzen im Bereich der Kaffeezubereitung und des dazugehörigen Milchschaums und fundierte Kenntnisse der überaus delikaten Nahrungsmittelzubereitung. Es ist daher nicht überraschend, dass viele Vertreter dieser Spezies in den unterschiedlichsten Bereichen der Gastronomie tätig sind. Darüber hinaus sind Haus-und Garten-Trolle oftmals herausragende Sommeliers und
betätigen sich in ihrer Freizeit nicht selten als Hobby-Fotografen.
Während der Küchen-Troll in seinem natürlichen Geläuf über eine ausgeprägte Kreativität verfügt, mangelt es dem Kaffee-Troll an einer solchen. Er ist zwar, wie sein naher Verwandter ebenfalls in der Lage vorzügliche Speisen anzurichten, ist jedoch - anders als sein Vetter der Küchen-Troll – auf Vorlagen in Form von Kochanleitungen angewiesen.
Der Kaffee-Troll hingegen ist ein Meister, wenn es darum geht einen köstlichen Espresso, Cappuccino, Latte macchiato oder Cold Brew zuzubereiten. Meisterhaft beherrscht er außerdem unterschiedlichste geheime Techniken der Schaumzubereitung. Dies zeigt sich
vor allem in seiner unnachahmlichen Fähigkeit einen überaus ansprechenden und
italienische Standards erfüllenden Latte-Macchiato-Schaum zu kredenzen, für den er – die sparsamen Veganer unter uns danken es ihm – nicht einmal die teure Barista-Edition des in
einschlägigen Kreisen bereits seit einiger Zeit favorisierten Soja-Drinks benötigt. Ein Geheimnis, in das er mich trotz intensiven Drängens meinerseits bisher nicht einzuweihen bereit ist.
Der Kaffee-Troll geht vollumfänglich
in seiner Leidenschaft für das schwarze
Gebräu auf und hütet die diesbezüglichen
Geheimnisse geradezu eifersüchtig.
Betrachten wir die Angelegenheit von
der positiven Seite, liebe Fachkolleginnen
und Fachkollegen: es gibt immer noch
etwas zu erforschen, Geheimnisse zu
lüften und Neues zu entdecken.
Wenn Sie mir meine etwas saloppe
Ausdrucksweise verzeihen wollen,
möchte ich Sie an dieser Stelle
auffordern: packen wir´s an!
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Der Kaffee-Troll in seiner bevorzugten Umgebung
Prof. Dr. Dr. Livia Crassa Malum - Eine Koryphäe auf dem Gebiet der Troll-Forschung